08.04.2012

Der Wert eines Taxifahrers beträgt 3 Euro

Ãœber die Borniertheit unserer werten Taxikundschaft
oder
Früh übt sich, wer den Wert einer Dienstleistung allein an ihrer Billigkeit misst

Nicht alleine, dass diese Osternacht für den Autor mit wenig Tourenglück gesegnet war, sie war an diesem hochchristlichen Wochenende auch geprägt von Menschen, die ihm seine Arbeit mit nichts anderem als Verachtung dankten. Am vorherrschenden Vollmond kann es nicht gelegen haben, vielmehr an der latent zunehmenden Geringschätzung menschlicher Arbeitskraft und dem Selbstverständnis an eine 24/7-Dienstleisterversklavungsgesellschaft. Insbesondere geprägt von jungen Menschen, die in ihrem Leben noch nichts bewerkstelligt haben, als das mehr oder weniger vorhandene elterliche Vermögen ihrem Vergnügen zuzuführen.

Nicht alleine, dass mit dem Trinkgeld geknausert wird. Es ist schon nachvollziehbar, wenn man das knappe Taschengeld für die nächste Handy-Prepaid-Karte zusammenhalten muss oder die 8 € für den bloßen Eintritt in eine Zappelbude. Aber bitte, dann sollten doch auch die 10 Cent dazu eingesetzt werden, die man am Ende dem Taxifahrer freundlich zudenkt. Dann merkt der Fahrer auch, dass es dem Kunden an Barem mangelt. Aber ihm bei einem Fahrpreis von 7,40 den 20- oder 50-Euro-Schein mit der Aussage „Dann nimm mal 7,50“ hinzuhalten? Bitte, wundere sich niemand, wenn das Zehnerl dankend abgelehnt wird.

Ãœberhaupt, was verleitet einen Jugendlichen, ihm fremde Menschen im elterlichen Alter zu duzen?

Nein, viel schwerer wiegt folgendes Erlebnis der vergangenen Nacht.

Gegen 05.00 Uhr am frühen Morgen, die Augenlider schon von Müdigkeit beschwert, steigt am Rande eines Diskoviertels eine junge Dame zu ihm ins Auto. Es soll um „die Ecke“ gehen. 1,8 km werden es am Ende sein. Glücklicherweise entfährt ihr kein Ausdruck des Bedauerns, dass es nur eine so kurze Fahrt ist. Dieses verlogene, gerne bemühte Bedauern will der Fahrer auch gar nicht hören, denn die kurze Fahrt stört ihn nicht, es gehört zum Selbstverständnis seines Jobs, seinem Berufsethos sozusagen, dass er auch Kurztouren anstandslos ausführt.

Glauben kann er dann jedoch nicht, was nach gut 600 m vom Beifahrersitz zu hören ist.

Da murmelt es doch, „Das ist aber extrem teuer“. „Wie bitte?“ entfährt es ihm voller Entsetzen. „Wissen sie eigentlich, was ich in den letzten 10 Stunden hier verdient habe? Es waren 40 Euro, damit ich auf Sie warten durfte, um Sie sicher nach Hause zu bringen“.
Das sei doch nicht ihr Problem und es sei trotzdem viel zu teuer für die kurze Strecke, nur weil man nicht mit dem Bus fahren könne, meckert die junge Dame weiter.
Auf die Frage, was ihr diese Leistung denn wert wäre, vermochte sie indes nicht zu antworten, denn sie verstand diese gar nicht. „Wie meinen Sie das?“ Nun, vermutlich war ihr die Bedeutung des Wortes „Wert“ nicht bekannt. „Was würden sie freiwillig für diese Fahrt bezahlen?“ machte er es ihr nun leicht, zwischenzeitlich am Ziel und bei einem Betrag von 5,80 € angekommen. „Naja, drei Euro vielleicht“

Drei Euro – Die Arbeitskraft eines Taxifahrers ist ihr also drei Euro wert.

Drei Euro, dafür konnte man diese Strecke noch nicht mal mit dem Taxi zurücklegen, als dieser junge Mensch geboren wurde. Drei Euro, die muss dieser junge Mensch zweieinhalb Wochen sparen, um den Eintritt für eine der Lübecker Diskotheken zusammenzukratzen. Drei Euro muss dieser junge Mensch zweimal in die Hand nehmen, um sich ein vernünftiges Getränk in einer dieser Diskotheken zu leisten. Drei Euro kosten 12 Zigaretten. Für Drei Euro gibt es gerade mal einen Döner oder einen BicMac. Für knapp Drei Euro hätte dieser junge Mensch auch auf den ersten Bus warten und mit einmal Umsteigen und 500 m Fußweg nach Hause kommen können.

Eine Taxifahrt ist diesem jungen Menschen, als Vertretung einer zunehmenden Zahl dieser bornierten Spezies, also Drei Euro wert. Für diese Drei Euro hat der Taxifahrer eine halbe Stunde auf Kunden gewartet. Ostersonntag am frühen Morgen um 05.00 Uhr. Für diese Drei Euro fährt er dann wieder etliche Kilometer durch die Stadt, um wieder eine halbe Stunde auf den nächsten Kunden zu warten. Das Taxi fährt ja nicht mit Wasser. Für diese Drei Euro bezahlt sein Chef dann auch noch das Benzin, Versicherung und Steuern für das 40.000€-Auto, das ja auch noch jemand bezahlen muss.

Ach ja, die junge Dame meinte voller Inbrunst dann noch, dass 5,80 € für die fünf Minuten Fahrt ja wohl ein ordentlicher Stundenlohn sei.

Nun, was hat der Fahrer an dieser Fahrt verdient, in dieser Stunde, die er sich für die sichere Heimfahrt dieser hübschen, jungen Dame bereitgehalten hat? Es waren immerhin 2,30 € (Brutto) zzgl 20 Cent Trinkgeld.

Was würde er denn  verdienen, wenn seine Dienstleistung tatsächlich nur einen Wert von Drei Euro hätte?

Es wären 1,20 €!

Der Autor möchte kotzen, wenn er diese Zeilen schreibt. Nicht, dass er nicht wüsste, dass es auch andere Kunden, nein, Menschen unter seinen Kunden gibt. Nicht, dass er nicht wüsste, dass das Taxigeschäft auf einer Mischkalkulation beruht. Nein, er möchte einfach nur kotzen, bei soviel abgrundtiefer Borniertheit und Verachtung für seine Arbeit, die er im Sinne einer gesetzlich gewollten Grundversorgung der Bevölkerung mit Beförderungsleistung erbringt.
Eine Arbeit, die er sich mit viel zu vielen Kollegen teilen muss, weil es ebenso bornierte Politiker und Verwaltungsmitarbeiter gibt, denen nichts wichtiger ist, als möglichst viele Taxen zu einem möglichst niedrigen Preis.

Er möchte kotzen über die Borniertheit, über Gesetze hinwegzusehen und illegale Praktiken per Handstreich zu legalisieren und illegalem Treiben aus Kostengründen keinen Riegel vorzuschieben, weil Personal einzusparen ist.

Er möchte einfach nur kotzen, weil viele zehntausende Taxifahrer und andere Dienstleister in dieser Republik Opfer einer ekelerregenden Geiz-ist-Geil-Mentalität sind, Opfer einer in breiten Massen der Bevölkerung tief verwurzelten Verachtung gegenüber Dienstleistungsberufen. Verachtung gegenüber Menschen, die oft rund um die Uhr für andere Menschen im Einsatz sind.

Ja, junge Frau, der Autor verachtet deine Einstellung und er hat dir heute Morgen etwas zu denken mit auf den Weg gegeben. Etwas, was auch mal gesagt werden musste, hat er dir und allen anderen hier auch noch aufgeschrieben.

Und nun gebraucht alle das, was ihr auf den Schultern tragt, ihr Bürger, und fangt an zu denken. Denkt darüber nach, was „Werte“ sind. Und wenn es der menschliche Wert ist, einfach mal die Schnauze zu halten.

André Marx, Lübeck

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